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Klimaschutzpotenziale der Kreislaufwirtschaft: Wir müssen Ressourcen gebrauchen statt verbrauchen

von Harald Christ

Recycling von Plastik könnte viel CO2-Emmissionen einsparen. Umso erstaunlicher ist es, dass das Klimaschutzpaket der Bundesregierung die Kreislaufwirtschaft nicht erwähnt.



Blöcke aus PET-Flaschen -Die Nachfrage nach Recyclingrohstoffen muss gestärkt werden. (Foto: Imago)

Plastik ist eines der großen Umweltprobleme unserer Zeit, es rangiert auch in der öffentlichen Wahrnehmung inzwischen direkt hinter der globalen Erwärmung. Schätzungen gehen auf Deponien oder in der Natur von rund fünf Milliarden Tonnen Plastik weltweit aus, während keine zehn Prozent des bislang hergestellten Plastiks wiederverwertet wurden. Recycling von Plastik vermeidet aber nicht nur den Eintrag des langlebigen Stoffes in die Umwelt. Es birgt auch erhebliches Klimaschutzpotential.

10 bis 13 Prozent der CO2-Menge, die die Menschheit noch emittieren dürfte, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, fallen allein auf die Kunststoffproduktion. Deutschland ist das Mutterland der Mülltrennung und hat ein ausgefeiltes Entsorgungssystem. Allerdings liegt der Anteil der Recyclate in der industriellen Produktion bei nur 15 Prozent. Würden wir diese Quote verdreifachen, würde Recycling so viel CO2-Emissionen einsparen wie die gesamten Erneuerbaren Energien in Deutschland – bei wesentlich geringeren Kosten.

Angesichts dieses Potenzials ist es erstaunlich, dass das Klimaschutzpaket der Bundesregierung die Kreislaufwirtschaft nicht erwähnt. Dabei ist die Politik nicht in jeder Hinsicht zögerlich mit ambitionierten Zielen für die Entsorgungsbranche. Seit Anfang des Jahres sind die dualen Systeme, die von den Entsorgern die Wertstoffe übernehmen, sortieren und der weiteren Verwendung zuführen, gesetzlich dazu verpflichtet, zwischen 50 Prozent (aus der gelben Tonne) und 85 (Papier) der in Verkehr gebrachten Verpackungen dem Recycling zuzuführen.

Das sind Vorgaben, die einerseits vom System derzeit nicht zu schaffen sind, was unter anderem an den seit Jahren steigenden Fehlwürfen durch den Verbraucher und fehlender Sortierkapazität liegt. Zudem sind die Quoten nur eine von mehreren Stellschrauben des Stoffkreislaufes. Wenn die gesammelten Verpackungen nicht recyclebar sind, nutzt auch die ehrgeizigste Quote nichts. Derzeit klagt die Entsorgungswirtschaft zum Beispiel über immer mehr Materialien auf dem Markt, die nicht wiederverwertbar sind.

Statt in einem Sektor des Systems – wie bei den Recyclingquoten - die Latte unrealistisch hoch zu hängen, sollten in allen Felder des Stoffkreislaufes, koordiniert und im System gedacht, Ziele und Normen parallel angehoben werden. Das fängt an beim Verpackungsdesign, hier muss Wiederverwertbarkeit der Maßstab sein. Produktdesign und Recycling müssen zwingen zusammengedacht werden, wie auch die Innovationen im Bereich Sortierung, Reinigung Zerkleinerung berücksichtigen.

Ein weiterer Punkt sind Vorgaben bei Food-Verpackungen. Sie müssen Schritt halten mit der technischen Entwicklung. Wenn recycelte Verpackungen heute genauso hygienisch sind wie Verpackungen aus neuen Rohstoffen, dann darf ihr Einsatz nicht an europäischen Vorgaben scheitern.
Um wertvolle Rohstoffe wiederzugewinnen, kann ein Pfandsystem helfen

Insbesondere aber muss die Nachfrage nach Recyclingrohstoffen gestärkt werden. Primärkunststoffe haben einen Preisvorteil von mehr als 25 Prozent gegenüber Recyclaten. Der Grund sind Skaleneffekte und fehlende Internalisierung der ökologischen Kosten. Über eine gesetzliche Verpflichtung zu einem Mindesteinsatz von Recyclaten („minimal content“) kann man die erforderliche Nachfrage schaffen. Um die wertvollen Rohstoffe aus Elektroschrott und Akkus wiederzugewinnen, kann ein Pfandsystem hilfreich sein.

Kreislaufwirtschaft betrifft indessen nicht nur den Müll der Verbraucher. Während der Siedlungsabfall etwa 50 von über 400 Millionen Tonnen jährlichen Abfalls verursacht, stellen mineralische Abfälle und Nebenprodukte mit etwa 240 Millionen Tonnen den mit Abstand größten Abfallstrom in Deutschland dar. Unter dem Radar der Öffentlichkeit könnte es hier zu einem veritablen Einbruch des Stoffkreislaufes kommen. So finden Nebenprodukte der Stahl- und Kupferproduktion – sogenannte Schlacken - weltweit Verwendung im Straßen- und Wasserbau.

Sie sind vielfach geprüft und zertifiziert, ein Eintrag aus den Stoffen in den Boden oder ins Wasser findet nicht statt. Das Umweltbundesamt hält die Verwendung für unbedenklich, bzw. ökologisch sinnvoll. Ihr Einsatz vermeidet einerseits den Eingriff in die Natur, der nötig wäre, um natürliche Gesteine abzubauen, andererseits schont er knappen Deponieraum.

Dennoch gibt es Bestrebungen einzelner Bundesländer, die Verwendung dieser Nebenprodukte als Ersatzbaustoff künftig zu unterbinden. Damit würden jährlich Millionen Tonnen in Deponien landen, der Transport umfangreiche CO2-Mehremissionen auslösen. Zermürbende Debatten mit Kommunen und Anwohnern über die Standorte zusätzlicher Deponien wären absehbar.

Und Circular Economy ist nicht zuletzt ein Thema der Außenwirtschaft. Deutschland war Avantgarde in der Entwicklung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, tritt aber im Moment auf der Stelle. Die dualen Systeme sind ein Industriegut, von dem ein globaler Stoffkreislauf profitieren könnte.
Kreislaufwirtschaft mitdenken

So wie bei den Lieferketten unser Selbstverständnis von Compliance und Verantwortlichkeit die nationalen Grenzen überschreitet, müssen wir als exportorientiertes Land in unserer Außenwirtschaftspolitik Kreislaufwirtschaft mitdenken, um Klima und Ökosysteme zu schützen. Der Stoffkreislauf muss Teil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern sein.

Der Schritt vom Ressourcenverbrauch zum Ressourcengebrauch ist der entscheidende Schritt hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Politik und Wirtschaft sind schon viele Schritte in die richtige Richtung gegangen. Nun geht es darum, die Schritte besser aufeinander abzustimmen.

Quelle: https://www.handelsblatt.com/meinung









Kommentare

  1. Hallo

    Das ist ein äußerst aufschlussreicher Blog! Genau das hatte ich gesucht! Vielen Dank!

    Herzliche Grüße,
    Adpoint

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