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Kreislaufwirtschaft: Zwischen Vision und Wirklichkeit – Die Notwendigkeit dezidierter sektoraler Planung und Innovation

Geschrieben von Raphaela Kell am 11. August 2023. Veröffentlicht unter https://resilienz-aachen.de



Die Idee der Kreislaufwirtschaft gilt als fundamentaler Schritt hin zu einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Wirtschaftsgestaltung. Die Vision einer Wirtschaft, in der Abfall vermieden wird, Ressourcen effizient genutzt werden und Produkte am Ende ihrer Lebensdauer zu neuen Rohstoffen werden, ist zweifellos ein richtiger Ansatz. Doch trotz der weitläufigen Akzeptanz und dem breiten Bewusstsein für die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft steht die tatsächliche Umsetzung in den allermeisten Städten und Gemeinden, wie auch in den Unternehmen noch in den Anfängen. Der Weg zu einer umfassenden und skalierbaren Kreislaufwirtschaft liegt derzeit noch in weiten Teilen im Dunkeln. Denn auch wenn das Ziel klar ist, so stehen die Städte und Gemeinden, die ihre regionale Wirtschaft nachhaltig und zirkulär gestalten möchten, vor der Frage, was die ersten Schritte auf diesem Weg sein müssen, wie und womit dieser Transformationsprozess begonnen und weitergeführt werden kann und wie die vielfältigen Potenziale der unterschiedlichen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik miteinander koordiniert werden müssen, um schnelle Ergebnisse zu erzielen.

Problemlage:
Ein Kernproblem ist, dass das Ziel „Kreislaufwirtschaft“ unfassbar komplex ist. Denn wir reden hier von einer Wirtschaft, die sich in viele Wirtschaftsbereiche bzw. Sektoren und Branchen unterteilt (s. Grafik). Eine wirtschaftliche Transformation bzw. die Entwicklung einer regionalen Roadmap erfordern dezidierte sektorale Strategienentwicklungspläne sowie eine strategische Zusammenführung dieser sektoralen Transformationsstrategien. Für alle Sektoren und Branchen müssen jeweils entsprechende Rohstoff- und Energiebedarfs- und Entsorgungsanalysen erarbeitet werden. Für jeden einzelnen Sektor muss im Prinzip ermittelt werden, was die problematischen Ausgangs- und Produktmaterialien sind, aus welchen Rohstoffen sie sich zusammensetzen, wie es mit ihrer Recyclingfähigkeit aussieht und ob es bereits einsatzfähige und erprobte alternative, d.h. umweltunbedenkliche Ausgangsmaterialien gibt und wenn ja, wie schnell diese in welchen Mengen für die Region zur Verfügung gestellt werden könnten. Hierzu müssen neue und möglichst regionale Wertschöpfungsketten in jedem einzelnen Sektor aufgebaut werden, die gewährleisten, dass selbst Primär- und Sekundärrohstoffe idealerweise in der Region produziert und vermarktet werden, um erstens Transportwege und -kosten zu reduzieren und zweitens um eine größere Unabhängigkeit von internationalen Rohstoffmärkten und -engpässen zu erlangen. Dazu bedarf es zahlreicher innovativer, aber in den meisten Fällen noch nicht existenter oder regional noch nicht ansässiger Start-ups, die Primärrohstoffe (z.B. aus der Landwirtschaft) herstellen und weiterverarbeiten oder Recyclate in ausreichender Menge für die Region produzieren und anbieten. Hier ist zudem problematisch, dass wir derzeit bezüglich der für eine Kreislaufwirtschaft benötigten innovativen Ausgangsmaterialien teilweise noch nicht über ausreichende, wenige oder noch nicht lange in der Praxis erprobte Substitutionsmöglichkeiten (z.B Pilzmyzellum oder Myzelbeton im Hochbau) verfügen. Insofern muss Forschung und Wirtschaft hier stärker zusammenarbeiten. Dies wiederum ist schwierig, da Hochschulwissen an Drittmittel und damit meist auch an Patentrecht gebunden ist, was den Zugang, vor allem den regionalen Zugang, zu innovativen nachhaltigen Produktionstechnologien und Materialien stark erschwert.

Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass es bisher keine umfassende, einheitliche Strategie für die Implementierung der Kreislaufwirtschaft gibt. Viele Länder und Organisationen haben zwar das Ziel einer Kreislaufwirtschaft formuliert, aber es fehlt häufig an konkreten Handlungsplänen, die den Übergang von der linearen zur zirkulären Wirtschaft ermöglichen. Ein grundlegendes Umdenken in der Wirtschaftsstruktur ist erforderlich, um die Kreislaufwirtschaft in allen Sektoren zu etablieren. Es bedarf einer klaren Leitlinie, wie verschiedene Branchen nachhaltig gestaltet werden können und welche Schritte dafür notwendig sind. Jede Wirtschaftsbranche muss eine für sich spezifische Kreislaufwirtschafts-Strategie entwickeln und jedes der in diesen Branchen angesiedelte Handwerk muss dies ebenfalls tun. Beispielsweise setzt sich die Baubranche aus sehr unterschiedlichen Handwerksbetrieben zusammen, die jeweils sehr spezifische Rohstoff-, Material- und Entsorgungsbedarfe haben. Nur eine spezifisch sektorale Herangehensweise ermöglicht es, gezielt auf die Bedürfnisse und Anforderungen der jeweiligen Industrie- und Handwerksbereiche einzugehen und maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln. Erst wenn die spezifischen Daten aus den einzelnen Handwerks- und Industriebereichen ermittelt sind und dann sektoral skaliert werden, kann eine strategische Roadmap zur Entwicklung einer regionalen Kreislaufwirtschaft erfolgen.

Die Bedeutung von Start-ups und Wissenschaft
Start-ups spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung und Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. Denn Start-ups gelingt es leichter sich gedanklich und konzeptionell von den seit Jahrzehnten im betriebswirtschaftlichen Denken verankerten Leitlinien einer linearen Wirtschaftsweise zu lösen. Sie bringen innovative Ideen und Technologien mit, die traditionelle Geschäftsmodelle herausfordern und neue Wege für eine nachhaltige, zirkuläre Wirtschaft eröffnen können. Die Förderung von Start-ups und ihrer Ideen, sowie deren gezielte Akquise im Rahmen einer regionalen Transformationsstrategie ist daher von großer Bedeutung, um die regionale Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Doch hier ist mehr als nur finanzielle Unterstützung gefragt. Es bedarf auch einer Vernetzung zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups, um gemeinsam Synergien zu schaffen, innovative Ideen und Produktionskonzepte zu skalieren und damit die Transformation zu beschleunigen.

Die Wissenschaft spielt eine ebenso wichtige Rolle, indem sie fundierte Forschungsergebnisse zu Kreislaufwirtschaften liefert. Besonders die Materialforschung hat eine zentrale Bedeutung. Denn ohne innovative Primärrohstoffe, die dazu dienen, umweltbelastende Ausgangsmaterialien zu ersetzen, und ohne die Entwicklung von Materialmischungen, die zu 100% recycelbar sind, bleiben die Ziele einer zirkulären Wirtschaft unerreichbar. Ein solides wissenschaftliches Fundament ist unabdingbar, um effektive Strategien und Technologien zu entwickeln, die den Ansprüchen einer Kreislaufwirtschaft genügen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, abseits von Drittmittelprojekten und Patentrechten, ist hierbei von grundlegender Bedeutung. Sie ermöglicht die zügige Überführung von Forschungsergebnissen in praxistaugliche Lösungen und beschleunigt somit den Übergang.

Im Ganzen wird klar, dass eine gezielte sektorale Planung und die synergetische Verbindung von Start-ups und wissenschaftlichen Forschungsergebnissen von entscheidender Bedeutung sind, um die Vision einer Kreislaufwirtschaft tatsächlich zu verwirklichen. Diese Entwicklung darf nicht dem Zufall oder ungezielten marktwirtschaftlichen Kräften überlassen bleiben; sie erfordert vielmehr eine koordinierte und strategische Vorgehensweise, die im Prinzip nur von der Kommunalpolitik und Verwaltung initiiert und umgesetzt werden kann. Nur durch das gemeinsame Engagement aller Akteure und die erforderliche Unterstützung kann die Kreislaufwirtschaft zu einem stabilen und skalierbaren Konzept für eine nachhaltige Zukunft heranreifen.

Wie sollte eine detaillierte schrittweise Anleitung oder strategische Roadmap für jeden spezifischen Wirtschaftssektor, und schließlich sogar für jede Handwerkskategorie oder Produktionsbranche innerhalb dieses Sektors, gestaltet sein?


Strategische Roadmap (am Beispiel Hochbau/Teilsektor der Baubranche):

Schritt 1: Analyse und Bestandsaufnahmen zur Ermittlung einer genauen Sektoren- zw. Branchenkarte
– Identifikation und Quantifizierung aller in Aachen ansässigen (Lokalitätsbezug), im Hochbau arbeitenden Wirtschafts-Akteure (Handwerks- und Produktionsbetriebe, Architekturbüros, Einzelhändler, Investoren und Entsorgungsbranchen)Materialbedarfs-Ermittlung aller Akteursgruppen (auf der Grundlage von skalierbaren Einzelanalysen):
– Rohstoff- und Materialbedarfsanalysen aller lokal ansässiger Unternehmen
– Bewertung der Umwelt- und Klimaauswirkungen der verwendeten Rohstoffe und Materialien.
– Analyse von Lieferkettenherausforderungen und Prognosen.
– Beurteilung vorhandener Substitutionsmaterialien und deren Verfügbarkeit, sowohl bei bestehenden als auch potenziellen Lieferanten.
– Feststellung der aktuellen Recyclingquote und Entwicklung konkreter Maßnahmen zur Erhöhung dieser Quote.
– Überprüfung der vorhandenen Recyclingeinrichtungen und -unternehmen, und gegebenenfalls Vorschläge zur Verbesserung.
– Zusammenfassung aller Analyseergebnisse zur Ermittlung einer sektoralen Übersicht (Hochbau).

Schritt 2: Festlegung konkreter Zielsetzungen für den Sektor zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft auf der Grundlage der Analyseergebnisse:
– Definition von quantitativen Zielen, wie z.B. die Festlegung einer Quote/Anteil für wiederverwendete Materialien.
– Festlegung einer Quote für den Einsatz von regional erzeugten Primärrohstoffen
– Zielsetzungen zur Reduzierung von Deponierung und Energieeinsparungen im Hochbaubereich.

Schritt 3: Förderung von Innovation und Kooperation
– Entwicklung und Umsetzung eines agilen Konzepts zur Akquise von erforderlichen Start-ups:
– Erarbeitung von Strategien zur gezielten Einbindung innovativer Start-ups, um die Entwicklung und Implementierung von Kreislaufwirtschaftslösungen zu beschleunigen.
– Etablierung von Plattformen und Netzwerken für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren und Unternehmen im Hochbau.
– Unterstützung von Start-ups und Forschungseinrichtungen, die innovative Lösungen für die Kreislaufwirtschaft entwickeln.

Schritt 4: Pilotprojekte und Demonstration
– Start von Pilotprojekten für zirkuläre Bauprojekte in verschiedenen Größenordnungen, von Einzelgebäuden bis hin zu Stadtvierteln.
– Sammlung von Daten und Erfahrungen aus den Pilotprojekten, um bewährte Verfahren zu identifizieren und Herausforderungen zu bewältigen.
– Nutzung der Ergebnisse der Pilotprojekte, um das Bewusstsein für die Vorteile der zirkulären Bauweise in der Stadtbevölkerung und bei Unternehmen zu stärken.
– Schaffung von Anreizen für Bauunternehmen und Architekten, nachhaltige und zirkuläre Baupraktiken zu übernehmen, z.B. durch steuerliche Vorteile oder Förderprogramme.

Schritt 5: Infrastrukturaufbau und Regulierung
– Investition in die Entwicklung von Rückbau- und Recyclinginfrastruktur für den Hochbau, um die Wiederverwendung und das Recycling von Baumaterialien zu erleichtern.
– Überarbeitung bestehender Bauregulierungen und Standards, um den Einsatz zirkulärer Materialien und nachhaltiger Bauweisen zu fördern.
– Implementierung eines Monitoring- und Bewertungssystems, um den Fortschritt in Richtung zirkulärer Hochbauziele zu verfolgen und anzupassen.


Prinzipiell ist für jeden einzelnen Wirtschaftssektor (s. Grafik), der in eine komplex durchdachte Kreislaufwirtschaft integriert werden soll, ein solches oder ähnliches Stufenprogramm zu entwickeln, die entsprechenden Analyseverfahren durchzuführen und dann auf der Grundlage konkreter Materialbedarfs- und Verwendungsanalysen eine strategische Roadmap für die Planung einer regionalen zirkulären Wirtschaft festzulegen. Wir reden hier von etwa 12 Sektoren (s. Grafik) und mehreren Dutzend Handwerks-, Dienstleistungs- und Produktionsbetrieben bzw. -Bereichen, die zudem teilweise nicht nur einem einzelnen Sektor zuzuordnen sind. Die hohe Analyse- und Datenkomplexität, die für die Entwicklung einer regionalen strategischen Roadmaß erforderlichen ist, ist immens und macht den koordinierten Einstieg in die regionale Kreislaufwirtschaftsplanung nicht unbedingt einfach, selbst wenn die Stadt dabei schon auf eine enge Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren und auf deren fundierte Kenntnisse über zirkuöäre Wirtschaftskonzepte zurückgreifen könnte. Doch dieses Wissen befindet sich in den meisten Sektoren erst im Aufbau. Es ist somit angeraten schnellstmöglich einen Runden Tisch Kreislaufwirtschaft zu etablieren, um erstens das vorhandene regionale know how aller relevanten Akteure über zirkuläre Wertschöpfungen abzutasten, die Mitwirkung aller Akteure an den erforderlichen Analysen zu koordinieren und drittens, gemeinsame Zielsetzungen festzulegen, deren Umsetzung dann strategisch geplant werden kann.

Quelle: https://resilienz-aachen.de/ Kreislaufwirtschaft: Zwischen Vision und Wirklichkeit – Die Notwendigkeit dezidierter sektoraler Planung und Innovation » Regionale Resilienz Aachen (resilienz-aachen.de)

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